Zugangs­vermutung bei regelmäßig zustellungs­freien Tagen innerhalb der 3-Tages-Frist

Die Einlegung von Rechtsbehelfen gegen schriftliche Verwaltungsakte im Sinne der Abgabenordnung (AO) ist regelmäßig nur innerhalb bestimmter Fristen möglich. Für die Berechnung der Frist ist dabei der Zeitpunkt der Bekanntgabe des Verwaltungsakts maßgeblich. Nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der durch die Post übermittelt wird, bei einer Übermittlung im Inland am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben (sog. Zugangsvermutung).

Das Finanzgericht Berlin-Brandenburg hat mit Urteil vom 24.08.2022 (Az. 7 K 7045/20) entschieden, dass die Zugangsvermutung gem. § 122 Abs. 1 Nr. 1 AO entfällt, wenn innerhalb der dort genannten 3-Tages-Frist an einem Werktag regelmäßig keine Postzustellung stattfindet.

In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt hat das beklagte Finanzamt aufgrund der durch die Klägerin erstellten Einkommensteuererklärung einen Einkommensteuerbescheid für 2017 am Freitag, dem 15.06.2018 erlassen und unmittelbar an die Klägerin übersandt. Diese war vom 02.05.2018 bis 19.06.2018 (Tage der Rückkehr) beruflich von ihrer Wohnung abwesend. Die Klägerin übersandte den Steuerbescheid am 19.06.2018 per Telefax an eine Steuerberatungsgesellschaft. Der Bevollmächtigte legte am 19.07.2018 namens der Klägerin Einspruch ein und gab an, dass der Bescheid am 19.06.2018 eingegangen sei. Der Beklagte verwarf den Einspruch als unzulässig, da die Zugangsvermutung innerhalb der 3-Tages-Frist des am 15.06.2018 im Wege des Zentralversands übergebenen Bescheids durch den Vortrag der Klägerin nicht erschüttert werde und die Einspruchsfrist daher am 18.07.2018 abgelaufen sei.

Das Gericht hat entschieden, dass im Streitfall die Zugangsvermutung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO nicht anzuwenden sei, weil die Zeugenvernehmung ergeben habe, dass an der Wohnung der Klägerin innerhalb der 3-Tages-Frist nach dem 15.06.2018 regelmäßig nicht an allen Werktagen von dem Postdienstleistungsunternehmen zugestellt worden sei. Zwar finde die Zugangsvermutung auch Anwendung, wenn - z. B. wegen mehrerer arbeitsfreier Tage oder Personalausfall - innerhalb der 3-Tage-Frist an zwei Tagen keine Zustellung stattfinde (z. B. werde bei Aufgabe zur Post am Freitag, dem 30. April trotz des Feiertags am 01. Mai der Zugang am Montag, dem 03. Mai grundsätzlich vermutet). Insoweit handele es sich jedoch um Sonderkonstellationen, die die grundsätzliche Anwendung der Zugangsvermutung nicht in Frage stellen würden. Anders sei dies jedoch, wenn innerhalb der 3-Tage-Frist planmäßig an zwei aufeinanderfolgenden Tagen keine Zustellung erfolge.

Das Finanzgericht hat die Revision zugelassen, die beim Bundesfinanzhof (BFH) unter dem Aktenzeichen VI R 18/22 anhängig ist.

(Pressemitteilung des FG Berlin-Brandenburg vom 02.01.2023)

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